
Letztes Jahr nahm ich an einer weiteren Yoga-Ausbildung teil. Um Neues zu lernen, mich fortzubilden, Zeit mit Gleichgesinnten zu verbringen und auch meinen eigenen Schülern neue Impulse setzen zu können.
Im Endeffekt verwirklichten sich auch all diese Wünsche. Wir waren ein bunter, aber lieber Haufen, ich konnte altes Wissen auffrischen und neues Wissen lernen und dies auch gleich in meinen eigenen Yogastunden anbringen.
Aber eine unerwartete Sache ist dann doch passiert. Eine der zwei Yogadozentinnen nahm eine Bewertung und Beurteilung vor, die mir die Nackenhaare aufstellten.
„Das ist eine totale Sissi-Asana (= Übung).“
Wie bitte?! Um den Kontext zu verstehen: Diese Bemerkung wurde nicht lustig, sondern sarkastisch und arrogant gemeint. So habe ich zumindest ihre Tonlage und ihre Mimik dazu interpretiert. Ich war ein bisschen vor den Kopf gestoßen und als ich mich im Raum umschaute, erging es 80% der anderen Teilnehmer ebenfalls so. Die Augen wurden größer und es folgten ungläubige Gesichtsausdrücke. Was war denn das?
Ja, es gibt Übungen, die sind eher für Fortgeschrittene und welche, die sind eher für Anfänger, aber nur theoretisch. Denn erstens kommt es auf die eigene Physiologie und Anatomie an und zweitens auf den Grund, warum man Yoga macht oder auch in meinem Fall, warum ich Yogaunterricht gebe.
Plus: Wer sich mal mit der Biographie der echten Kaiserin von Österreich beschäftigt hat und nicht mit den Filmen mit Romy Schneider, weiß, was Sisi (ja, die echte wird nur mit einem S geschrieben) für eine toughe, selbstbewusste, ehrgeizige Sportskanone war. Sie hatte übrigens auch ein Tattoo. Ziemlich verwegen für die damalige Zeit. Aber das wäre eine andere Geschichte wert.
Auf jeden Fall wurde mir in dieser Situation mal wieder bewusst wie verletzend und verstörend salopp daher gesagte Beurteilungen und Wertungen sein können. Ich weiß gar nicht mehr, welche Übung als „sissi-haft“ bezeichnet wurde, aber ich weiß noch, dass ich es verletzend fand. Persönlich angegriffen habe ich mich nicht gefühlt, aber unter der Gürtellinie fand ich den Begriff dennoch. Vor allem im Kontext einer Yogaausbildung. Da sollte man sich vielleicht nochmal mit den Upanischaden oder dem Yogasutra befassen, um zu verstehen, dass Yoga kein Sport ist. Man kann es als sportliche Aktivität nutzen, aber soweit ich weiß, wurden die Yogahaltungen/Asanas ursprünglich erfunden, um danach länger im Meditationssitz verweilen zu können und nicht, um definiertere Muskeln zu bekommen. Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es primär, um eine spirituelle, geistige Erfahrung, die man mit körperlichen Bewegungsabläufen unterstützen kann.
Aber Yoga-Definitionen, -Stile, -Lehrer gibt es mittlerweile wie Sterne im Kosmos. Und da es noch keine geschützte Berufsbezeichnung ist, hat natürlich jeder, der Ausbildungen in diesem Bereich anbietet, freie Interpretationsmöglichkeiten. Auf der einen Seite ganz cool, weil viel Abwechslung dabei ist und jeder Yogaschüler so die Möglichkeit hat, seinen passenden Lehrer zu finden – sei es nun eher sportlich, oder eher spirituell ausgerichtet. Auf der anderen Seite entstehen so manchmal eben auch viele, verschiedene Ansichten, Meinungen und Vorstellungen darüber, was Yoga ist oder sein sollte.
Was ich mit dem Sissi-Zitat aber eigentlich hervorheben wollte, sind unnötige Bewertungen. Oder Bewertungen, die ins Negative leiten. Oder Bewertungen, die einfach fehl am Platz sind. Oder Bewertungen, die einen dazu führen sich zu vergleichen. Wer braucht das schon? Wir alle haben genug Programme und Konditionierungen in uns laufen, dass es für uns völlig normal ist, uns zu vergleichen, mit anderen zu messen, unsere eigenen Leistungen zu bewerten. Da brauchen wir das nicht noch von außen, in einem Kontext, der eigentlich bewertungsfrei sein sollte.
Was für den einen leicht ist, ist für den anderen voll schwer und umgekehrt. Ich habe kein Problem mir mit meinen Zehen an die Stirn zu tippen, anderen würde es das Rückgrat brechen. Ich habe unglaubliche Balanceprobleme. Andere können stundenlang elegant wie ein Flamingo einbeinig zubringen. Wir sind nun mal unterschiedlich und wie schön wäre es, wenn man das einfach anerkennt – ohne zu bewerten.